Eine aktuelle Studie in der «Swiss Medical Weekly» bietet zusätzliche Informationen zum Einsatz von Valproat bei Schwangeren und bei Frauen im gebärfähigen Alter in der Schweiz. Trotzdem bleiben Fragen offen. Eine bessere Datenerfassung und ein besserer Schutz ungeborenen Lebens bleiben wünschenswert.

 

Januar 2021 – Eine Studie im «Swiss Medical Weekly» hat anhand von Abrechnungsdaten der Krankenversicherung Helsana analysiert, wie viele Frauen im gebärfähigen Alter und wie viele Schwangere zwischen 2014 und 2018 ein Medikament mit dem Wirkstoff Valproat eingenommen haben könnten. Zu den Autor*innen gehört auch Prof. Dr. Stephan Rüegg, der Past-Präsident der Schweizerischen Epilepsie-Liga.

Valproat oder Valproinsäure (Handelsnamen in der Schweiz unter anderem Depakine®, Orfiril® oder Convulex®) ist seit 1972 in der Schweiz verfügbar und wird zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt; es gibt aber auch andere Indikationen. Bei Ungeborenen kann die mütterliche Einnahme zu Fehlbildungen und später zu Entwicklungsstörungen führen. Es gibt aber in seltenen Fällen schwere Epilepsien, die sich nur mit Valproat erfolgreich behandeln lassen. Weil solche grossen Anfälle ohne Vorwarnung während der Schwangerschaft äusserst gefährlich sind, können manche Frauen auf das Medikament nicht verzichten.

Weiterhin keine präzisen Daten

Es ist schwierig, die Zahl der betroffenen Kinder zu schätzen – Entwicklungsstörungen werden meist erst Jahre nach der Geburt bemerkt. Ein Report von Swissmedic von Ende 2019 gab die Zahl gemeldeter Fälle zwischen 1990 und 2018 mit insgesamt 39 an. In der Realität dürfte die Zahl betroffener Familien höher sein – die neue Studie zeigt, dass rund 1,9 von 10’000 Schwangeren weiter Valproat verschrieben bekamen, bei 1,3 von 10’000 wurde das Medikament zu Beginn der Schwangerschaft abgesetzt. Bei rund 75-80’000 jährlichen Schwangerschaften in der Schweiz wären demnach pro Jahr rund 15-30 Ungeborene dem Wirkstoff ausgesetzt gewesen. Man schätzt, dass rund 40 Prozent der betroffenen Kinder beeinträchtigt sind.

Die Daten zeigen, dass Valproat deutlich seltener während der Schwangerschaft eingesetzt wurde als andere Antikonvulsiva, aber mutmasslich immer noch häufiger als medizinisch unbedingt notwendig. Die Schweiz schneidet aber etwas besser ab als andere europäische Länder. Seit Dezember 2018 müssen Ärzt*innen und alle gebärfähigen Patientinnen jährlich eine ausführliche Risikoaufklärung per Formular bestätigen. Die Schäden am Embryo entstehen oft in den ersten Wochen, bevor die Schwangerschaft überhaupt bemerkt wird. Weil zudem viele Frauen ungeplant schwanger werden, ist jede Einnahme von Valproat durch eine gebärfähige Frau potenziell gefährlich.

Die Datenanalyse hat ihre Grenzen: Weder zeigt sie, ob das Valproat zwingend medizinisch notwendig war, noch ob es gegen epileptische Anfälle oder für andere Krankheiten (Migräne, psychische Erkrankungen) verschrieben wurde. Auch die Dosis ist nicht bekannt, obwohl die unerwünschten Wirkungen davon abhängen. Zudem gibt es viele Schwangere, die bezogene Medikamente letztlich nicht einnehmen.

Gemeinsam mit der Schweizerischen Akademie Perinatale Pharmakologie (SAPP) setzt sich die Epilepsie-Liga für eine öffentliche Datenbank ein, in der klare Empfehlungen und Warnungen zum Einsatz von Arzneimitteln für schwangere und stillende Frauen verfügbar sind.

 

Die Publikation im Original: Spoendlin Julia, Blozik Eva, Graber Sereina M., Rauch Marlene, Marxer Carole A., Rüegg Stephan, Meier Christoph, Winterfeld Ursula, Panchaud Alice, «Use of valproate in pregnancy and in women of childbearing age between 2014 and 2018 in Switzerland: a retrospective analysis of Swiss healthcare claims data». Swiss Med Wkly. 2021;151:w20386. DOI: https://doi.org/10.4414/smw.2021.20386.

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